Grenzenlose Kreativität
Wenn Ende April im Magna Auditorium das Kontrafagott auf Obertonmusik stößt, sind Instrumente im Großeinsatz, die es im Musikverein bisher nicht zu hören gab: die Tschiritschophone des Wiener Künstlers Hans Tschiritsch.

Musiker und Komponist, Instrumentenbauer und Erfinder – so steht’s auf der Website von Hans Tschiritsch. Der Kreativität des Wiener Künstlers sind im Laufe der Jahre allerdings viele weitere Blüten entsprungen, wie sich in einem mit musikalischen Kostproben gespickten Gespräch herausstellt. So möchte man im World Wide Web den Begriff „Musiker“ zumindest spezifizieren in Multi-Instrumentalist und Obertonsänger – und obendrein ergänzen: Marionettenbauer, Puppenspieler, Geräuschmeister, Musikvermittler, Bildender Künstler, …

Bekanntes Unbekanntes

Der Besuch bei Hans Tschiritsch zu Hause und in seiner nur wenige Häuserblöcke entfernt gelegenen Werkstatt ist eine Reise in eine faszinierende Welt. Hier wie dort reiht sich – auf dem Boden stehend, an den Wänden hängend, auf Tischen und in Regalen liegend – Kunstwerk an Kunstwerk und Instrument an Instrument: alles selbst gebaut.

In manchen seiner Instrumente, den Tschiritschophonen, sind bekannte Formen und Einzelteile auszumachen, doch nichts ist, wonach es aussieht: Der Spazierstock ist eine Mundgeige, die alte, mit Fußpedal betriebene Nähmaschine eine Oberton-Drehleier, das außergewöhnliche Cello ein Zwitscheridoo, und was man bei einem flüchtigen Blick möglicherweise für eine Trompete und eine Geige gehalten hätte, entpuppt sich als ein einziges Ding – eine Trichtergeige, die Tschiritsch nach dem Vorbild eines zu Beginn des vorigen Jahrhunderts verbreiteten Instruments gebaut hat. Weiters bestaunt man etwa den Klangpropeller, das Badewannen-Cello, die Wehmutswalze und, Tschiritschs jüngste Efindung, die Wassertropfen-Installation.

Instrumentales Singen

Hans Tschiritsch empfängt seinen Besuch mit einer Improvisation auf dem Zwitscheridoo, einer Kreuzung aus Cello-ähnlichem Streichinstrument und Didgeridoo. Wie die meisten seiner Instrumentenkreationen ist auch diese ein Obertoninstrument. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt er sich mit Obertönen: „Die Idee, dass man instrumental singen kann, also ohne Text, einfach mit der Klangfarbe, hat mich fasziniert“, erzählt Tschiritsch. Um mehr über die Grundlagen dieser Musikform zu lernen, machte er sich auf nach Tuva in Sibirien, wo er sich von dortigen Musikern einiges abschauen konnte. Wie in allem, was er künstlerisch tut, ist Hans Tschiritsch auch auf diesem Gebiet Autodikakt. „Am schnellsten lernt man“, sagt er, „wenn man einfach offen ist.“

Besonders schnell lernen das Obertonsingen Kinder, weiß Tschiritsch und erinnert sich etwa an eine Schulklasse, der er seine Instrumente demonstrierte: „Plötzlich begann die ganze Klasse obertonzusingen. Ihr Lehrer war selbst Obertonsänger und hat sich mit den Kindern auch dahingehend ein bisschen beschäftigt …“ Der Zugang zum Obertonsingen sei durchaus eine Frage der Hörgewohnheiten, meint Tschiritsch. In unserer westlichen Welt seien diese eben in der Regel andere, und daher sei die Hemmschwelle – gerade bei Erwachsenen – oft etwas größer.

Tierische Kunstobjekte

Aus dem Sammelsurium an verschiedensten Materialien, zerlegten alten Instrumenten und Einzelteilen abgelegter Gebrauchsgegenstände in Hans Tschiritschs Werkstatt entstehen nicht ausschließlich wieder Musikinstrumente. Zu den Kunstobjekten in seiner Wohnung zählen beispielsweise auch Lampen – unter anderem eine Wandleuchte in Form eines entzückenden Schafskopfs mit umgehängter Glocke – und ein durchaus raumgreifendes Schachspiel mit selbstentworfenen und selbstgebauten Spielfiguren.

Auch ein Kunstwerk auf dem Schreibtisch zieht die Aufmerksamkeit auf sich: eine Giraffe, fantasievoll zusammengestellt aus Kupfer- und Messingteilen. „Das ist ein Geburtstagsgeschenk meines Sohnes“, sagt Hans Tschiritsch nicht ohne Stolz. Neun Jahre ist der Junior alt und ließ sich wohl von Papas Wassertropfen-Installation mit den langen Kupferrohren inspirieren, die an Giraffenhälse erinnern. Und der Künstlergeist Hans Tschiritschs hat bereits eine Idee, wie sich dieses kleine Kunstwerk wiederum als Musikinstrument verwenden ließe …

Mitmach-Ausstellungen und Festspiel-Ehren

Die Tschiritschophone sind immer wieder in Ausstellungen zu bewundern, das Volkskunde-Museum widmete Hans Tschiritsch und seinen Instrumenten vor einigen Jahren eine mehrmonatige Schau. „Wenn man in die Instrumentensammlung des Kunsthistorischen Museums geht, dann darf man nichts angreifen. Das ist auch interessant, aber eigentlich auch ein bisschen gemein“, meint Tschiritsch schmunzelnd. Interesse und Neugier der Besucher seiner Mitmach-Ausstellungen werden belohnt, alles darf angefasst und ausprobiert werden. Dass dabei das eine oder andere Instrument Schaden nimmt oder gar abhanden kommt, grämt ihn dabei nicht. „Es hat ja keinen Sinn, am laufenden Band zu produzieren, wenn’s dann nur herumsteht“, sagt er und weist in den Raum: „Ich hab ja eh keinen Platz mehr hier.“

So manches Instrument hat Hans Tschiritsch über die Jahre schon verkauft, einige wurde von Museen übernommen, und eine seiner Trichtergeigen hat er mehrmals schon verborgt: unter anderem ans Ensemble 20. Jahrhundert, das ein neues Werk zur Aufführung brachte, in dem ein solches Instrument vorgesehen ist. Und für die originalgetreue Ausführung von Alban Bergs Oper „Lulu“, in deren Partitur sich Notentext für Trichtergeigen findet, klopften 2010 sogar die Salzburger Festspiele bei Hans Tschiritsch an.

Weichenstellungen und bewegte Jahre

In welchem Bereich, fragt man sich und dann sein Gegenüber, liegen nun die Wurzeln eines so vielseitigen Künstlers? „Na ja“, sagt Hans Tschiritsch, „ich bin ein Schulaussteiger. Das war eine gewisse Weichenstellung. Die akademische Laufbahn war mir damit verwehrt. Es interessierten mich aber ohnehin mehr Musik, Handwerk und solche Sachen. Und es war die Hippie-Zeit.“

Wichtig war dem jungen Mann jedenfalls eine finanziell unabhängige Existenz. Er reiste als Straßenmusiker durch die Lande – Frankreich, Spanien, Schweiz, Deutschland –, zunächst mit seiner Schwester, später allein: „mit Geige, Trommel am Rücken und dann noch einer Puppe dazu. Diese habe ich mir so an die Hand gebunden, dass sie sich beim Geigespielen mitbewegt hat. Da war ich recht kreativ, und es hat sich immer weiterentwickelt.“

Zurück in Wien, war Hans Tschiritsch Theatermusiker in verschiedenen kleineren Theatergruppen, am Theater des Augenblicks und nach einem Abstecher in die Türkei – „als Gastarbeiter am Staatstheater“ – in den neunziger Jahren am Burgtheater. Auch hier zeigte sich seine Vorliebe fürs Spezielle: Er spielte die singende Säge, auf Gläsern und auf seinen selbstgebauten Instrumenten.

Der Reiz des Neuen

Es waren der Reiz des Neuen und seine vielen kreativen Ideen, die Hans Tschiritsch davon abgehalten haben, einen einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen und etwa ein Marionettentheater zu gründen oder als Theatermusiker dauerhaft Fuß zu fassen. Eine Zeitlang betätigte er sich auch höchst erfolgreich als Geräuschmeister – unter anderem bei einem „capriccio!“-Jugendkonzert im Musikverein.

In den vergangenen Jahren gestaltete er Instrumentenbau-Workshops für Schulen, verschiedene Organisationen und auch im Rahmen der Kulturhauptstadt „Linz09“. Derzeit ist er in Gesprächen für ein Projekt an einem Berliner Theater und arbeitet am Soundtrack für einen Wien-Smart-Guide: Wiener Musik einmal anders – Mozarts „Kleine Nachtmusik“ auf Flaschenxylophon, Strauß’ „Donauwalzer“ auf der Oberton-Drehleier, Kreislers „Liebesfreud“ auf der Trichtergeige, Wolf auf dem Theremin, singende Säge und so manches mehr.

Profis unter sich

Immer wieder wird Hans Tschiritsch nach einem Ensemble gefragt, das ausschließlich Tschiritschophone spielt. Doch da winkt der Künstler ab. Einerseits müsste er die Kollegen instruieren, andererseits „müsste sich jemand die Mühe machen und üben“, sagt er verschmitzt, und: „Bevor einer schlecht auf meinen Instrumenten spielt, ist es mir lieber, er spielt gut auf einem traditionellen Instrument.“ Also arbeitet er bevorzugt mit Profis zusammen, wie auf seiner jüngsten CD „Neun“, die ausschließlich Eigenkompositionen enthält und auf der die Akkordeonisten Otto Lechner und Franz Haselsteiner seine Partner sind.

Auch bei Hans Tschiritschs bevorstehendem Musikvereinsauftritt sind Profis unter sich, Profis auf klassischem Instrumentarium und Profis auf dem breiten Feld der Obertonmusik. Seit der Ausstellung im Volkskunde-Museum ist Tschiritsch mit Werner Schulze befreundet, dem Fagottisten, Komponisten und Professor für Harmonik an der Wiener Musikuniversität. Dieser fing damals Feuer für die Obertonmusik und die Tschiritschophone, vor ein, zwei Jahren komponierte er ein Stück für Fagott und Oberton-Trio, das „Concerto Roberto“. Darin gibt es auch einen Totentanz, den übrigens der Tod persönlich tanzen wird. Denn die Kreativität Hans Tschiritschs ist bekanntlich grenzenlos.

Ulrike Lampert, Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, April 2012