Mit 50 hat man noch Träume. Zum Beispiel: Reisen. Oder: Ein schönes
Begräbnis, selbst inszeniert. Die letzte Reise in einem Flugzeugsarg;
erst, wenn’s unter die Erde geht, ja, erst dann bitte dem Sarg die
Flügel abmontieren. Hans Christian Tschiritsch will frei sein, vogelfrei.
Den Tod hat er übrigens schon längst gebastelt: als Marionette. Das
würde er sich für seine schöne Leich’ auch wünschen: Dass einer mit
dieser Skelettpuppe am offenen Grab spielt, “weil ich selbst kann
es dann ja nicht mehr.”
Hans Tschiritsch: Ein hochgewachsener, kahlköpfiger Mann mit viel
Sehnsucht in den Augen. Als Musiker beherrscht er den Obertongesang
– das klingt, als ob er zwei Töne gleichzeitig singen würde. Und:
Er ist Instrumentenbauer. Oder, genauer gesagt: Instrumentenerfinder.
Objektkünstler.
Was in gutbürgerlichen Wohnungen Klaviere und Geigen, sind bei ihm
der Monochord-Nudelwalker, das Hupophon, Trichtergeigen. Natürlich
spielt Tschiritsch unplugged; nur sein Klangstaubsauger braucht
eine Steckdose. Die Tonnenbassgeige ist ein Ölfass mit Cellohals,
aus Lampenstangen, Abflussrohren, Mopedauspuffen, Weinflaschen bastelt
er Tschiritscheridoos als Ö-Varianten des australischen Didgeridoos.
Obertöne
Und nun setzt er das Pedal seiner Nähmaschinenobertondrehleier mit
Fußantrieb in Gang. Aber an Stelle von Nähten entstehen geradezu
himmlische Klänge. Denn Tschiritsch singt nicht nur Obertöne, er
konstruiert auch Oberton-Instrumente: Es heißt ja, dass der Abstand
zwischen Erde und Planeten unseres Sonnensystems an Stelle von Kilometern
in Harmoniefrequenzen, eben in Obertönen, gemessen wird. Das erste
Monochord-Instrument wurde übrigens von dem griechischen Philosophen
Pythagoras entwickelt, die größte Geige vom Überlebensphilosophen
Tschiritsch: Zwei Meter hoch, ein begehbarer Klangwunderkasten, den
er dem Kulturverein in Gmünd schenkt. “Sonst interessiert sich niemand
dafür”, sagt er bedauernd. Das ist das Wundersamste an diesen wundersamen
Instrumenten und ihrem Erfinder: Dass nicht die gesamte internationale
Film- und Theaterwelt zwischen Holly- und Bollywood im Atelier von
Hans Tschiritsch Schlange steht. Derzeit ist er Gastprofessor an
der Musikuniversität in Toronto.
Sonst?
André Heller habe er vor mehr als 20 Jahren kennen gelernt, erzählt
Tschiritsch. Angeblich war der ja beeindruckt. Aber dann leider nie
mehr zu sprechen. Am türkischen Staatstheater hat er gearbeitet,
in Wien an der Josefstadt, am Serapionstheater, er hat das Theater
des Augenblicks mitgegründet und zwischen 1994 und 2000 war er Geräuschmeister
an der Burg.
Neue Töne
Zwar sei die finanzielle Sicherheit schon sehr angenehm gewesen:
Ein regelmäßiges Einkommen. Wer hat das schon als freier Künstler?
Aber letztlich fand er es wesentlich lustiger, in der Werkstatt ein
Instrument zu bauen. Sein Credo: Geräusche nicht nur imitieren, sondern
neu erfinden.
Hans Tschiritsch wurde am 7. September 1954 in Wien geboren; die
Mutter Jüdin, der Großvater von den Nazis im KZ ermordet. Hans wächst
konfessionslos auf, Religion ist tabu, über die Familiengeschichte
wird kaum gesprochen. In der Altbauwohnung in der Wiener Alserstraße,
in der er aufwuchs, lebt der Musiker heute noch, mit seiner Frau
Fan Wen Ying aus Schanghai, und seinem 18 Monate alten Sohn Luis.
Hans Tschiritsch war kein angepasstes Kind, immer schon hat ihn
das Außergewöhnliche, das Ausgefallene fasziniert. Schwierige Ausgangsbasis
für eine durchschnittliche Schulkarriere: “Von der Volksschule an
hat man versucht, mich zum Idioten zu machen. Im Gymnasium bin ich
zwei Mal durchgefallen, in der siebten Klasse habe ich aufgehört.”
Kurze Pause: “Die Schule war wirklich furchtbar.”
Mit 17 hat er sich vertschüsst, zuerst nach Berlin, dann Südfrankreich.
“In Avignon habe ich Straßenmusiker gesehen und gedacht: Herrschaften,
das kann ich auch.” Und so reiste Hans Tschrititsch als Straßenkünstler
durch Frankreich und Spanien. Auf der Geige fidelte er irische und
bretonische Musik, er baute sich für seine One Man Show eine Art
Dudelsack, bastelte Marionettenpuppen und lernte auf Stelzen gehen.
In Andalusien verschlug es ihn in die berühmten Zigeunerhöhlen im
Sacro Monte von Granada – eine glückliche Zeit, denn “am besten gefällt
es mir bei einer Zigeunerpartie, wenn es fast schon magisch wird.”
Strenge Töne
Zwanzig Jahre später ist er Familienvater und in dieser Rolle nicht
minder glücklich. Die handgenähten Schühchen für seinen kleinen Sohn
aus feinstem, weichem Leder sind auf- und augenfällig, ebenso Hut
und Seidenjacke. Hans Tschiritsch lächelt: Self made. Das würde in
schicken Boutiquen was hermachen. Aber: "Ich bin kein Verkäufertyp.
Kein Geschäftsmann."
Das Vermarkten ist seine Sache wirklich nicht. Deshalb steht er
nicht einmal im Telefonbuch. Und deshalb klappt das auch mit der
Musik nicht immer so, wie er’s gern hätte. Der Erfolg stellt sich
oft erst im Nachhinein ein. Zum Beispiel das “Erste strenge Kammerorchester”,
Otto Lechner spielte das Akkordeon, Hans Christian Tschiritsch Berimbao
und Singenden Säge und “Besame Mucho” klang plötzlich gar nicht mehr
nach Cluburlaub.
Tschiritsch’s Urwerk heißt die aktuelle Formation, eine fetzige
Gruppe, ihre musikalische Tour führt vom Zillertal nach Istanbul,
vom Flamenco zu Czardas, vom Jazz zur Avantgarde, von Mozart zu Johann
Strauß: Zum Weinen, Tanzen, Frohsein und Träumen schön. "Hab’ ich
meine Träume verwirklicht? In gewisser Hinsicht schon. Bereuen tu
ich nichts. Ich habe Sachen gemacht, die sonst nicht passieren würden."
Hans Tschiritsch nimmt seinen Sohn zärtlich auf den Arm. "Aber man
hat ja immer wieder neue Träume." Vom Reisen beispielsweise. Und
vom eigenen Begräbnis.
Andrea Schurian, Kurier 13. September 2004
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