Eine Ausstellung des Österreichischen Museums für
Volkskunde vom 21. Jänner bis 5. April 1999
Mit Phono-Inventionen präsentiert das Österreichische Museum für
Volkskunde wieder eine Ausstellung "... aus der Reihe".
Es verläßt seine gewohnten Bahnen, um sich mit dem Werk eines Künstlers
unserer Zeit auseinanderzusetzen. Mit Hans Tschiritsch’s Phono-Inventionen.
Es sind das keine Musikinstrumente im herkömmlichen Sinn, sondern
außer-gewöhnliche Gebilde, die auf den Betrachter zunächst wie bizarre
Skulpturen wirken. Es sind Kreationen, die scheinbar einem künstlerischen
Selbstzweck dienen, tatsächlich aber interessante Experimente darstellen,
mit denen sich der am Burgtheater als Bühnenmusiker und Geräuschmeister
tätige Instrumentenbauer und Komponist auf die Suche nach den Wurzeln
der elementaren Musik begibt. Hans Tschiritsch spürt mit seinen
Instrumenten den Urformen der Musik nach, indem er sie in einzelne
Geräusche und Töne zerlegt, um sie im Zusammenspiel mit anderen wieder
neu zu Weltmusik zu arrangieren: als Tschiritsch’s Urwerk.
Hans Tschiritsch, unverkennbar gestylt, geht seinen eigenen Weg.
Als Musiker und Philosoph, als Individualist und Idealist. Ein Wiener
Original, allerdings nicht von der gemütlichen Art, sondern eines,
bei dem Werk und Person zu einem Ganzen verschmolzen sind.
Warum aber Hans Tschiritsch im Österreichischen M useum für Volkskunde?
Bei aller Einzigartigkeit und Skurrilität - oder gerade deshalb -
steht Hans Tschiritsch im Trend der Zeit. E r verkörpert jenen Paradigmenwechsel,
der an Zeitenwenden immer besonders virulent wird und der sich in
der Abkehr von der Übertechnisierung und von der Profitmaximierung
eines schrankenlosen Kapitalismus, im Widerstand gegen die Uniformierung
einer globalen Zivilisation, im Kampf gegen die Zerstörung der Natur
und die Ausrottung bedrohter Völker zeigt. Diese Wende ist geprägt
durch die Suche nach Alternativen, durch die Hinwendung zur Esoterik,
zum Kult. War es am Ende des 18. Jahrhunderts das Wilde, dem das
Interesse der aufgeklärten Welt galt, so wandte man sich am Ausgang
des 19. Jahrhunderts dem Primitiven zu. Vor allem die Künstler entdeckten
damals die Kunst der Urzeit, der Naturvölker, der Naiven und - die
Volkskunst. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts sind es nun das Indigene,
die Kunst der Ureinwohner, ihr Körperschmuck, ihre Riten, ihr Wissen,
ihre Musik, von der eine starke Faszination ausgeht. Von ihr ist
auch Hans Tschiritsch erfaßt. Doch Hans Tschiritsch imitiert nicht,
sondern erfindet neu: Quietschmangeln, die wie K urbelratschen funktionieren,
Rotaphone, die Geräusche ähnlich den Schwirrhölzern erzeugen, Dijderidus,
die zu Tschiritscheridus aus den verschiedensten M aterialien wie
A bflußrohren, Vorhangstangen, Glasflaschen, etc. werden, und eine
Vielzahl an Monochorden wie eine Badewannendrehleier, eine Nähmaschinendrehleier,
die alle auf dem Bordunsystem aufgebaut sind und mit denen sich herrliche
Obertöne fabrizieren lassen. Seine Trommelbaßgeige erinnert an die
volkstümlichen Rhythmusinstrumente der Teufelsgeigen. Faszinierend
auch seine Streichinstrumente wie Steigbügelcello und Trichtercello
bzw. Trichtergeige, die mit einem Grammophontonabnehmer versehen
sind und auf diese Weise den Resonanzkasten überflüssig mache.
Als eine besondere Attraktion und als Mittelpunkt dieser Ausstellung
ist jedoch „die größte Geige der Welt“ anzusehen, eine riesige,
begehbare Drehleier in Form einer Geige. Es handelt sich dabei wieder
um ein großes Borduninstrument mit seitlichen Mitklingern, auf dem
zur Eröffnung die grazile Japanerin Akemi Takeya eine Streicherpantomime
tanzte und Hans Tschiritsch aus dem Bauch der G eige zum Klang der
Riesendrehleier seinen sibirischen Obertongesang ertönen ließ.
Mit Phono-Inventionen knüpft das Österreichische Museum für Volkskunde
an vorangegangene Ausstellungen an: an das Kunst-Spiel-Zeug (1996)
mexikanischer Künstlerinnen und Künstler, dem Spielzeug aus der
eigenen Sammlung gegenübergestellt wurde, um zu zeigen, wie auch
in Österreich die Moderne primitives Spielzeug zur Inspiration verwendete.
Man denke nur an die Wiener Werkstätte. Aus der Reihe fiel auch die
Ausstellung Werkzeug-Transformationen (1997) des in Kärnten lebenden
Künstlers Fritz Russ. Dieser junge Künstler, der altes, verrostetes
bäuerliches Gerät zu spannenden Skulpturen zusammenschweißt, brachte
zum Nachdenken über die aktuelle Situation. Hans Tschiritsch’s
Phono-Inventionen wiederum erschließen uns eine alte Klangwelt auf
neue Weise.
Die Ausstellungen "... aus der Reihe", zu denen es auch informative
Kataloge gibt, sollen im Jahresrhythmus fortgeführt werden, und
sind als ein Forum für die Auseinandersetzung von moderner Kunst
mit der traditionellen Volkskultur gedacht.
Franz Grieshofer, Österreichische Zeitschrift
für Volkskunde 1999 Heft 1
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