Der erste Körper den ich spürte und
wahrnahm, war mein eigener oder vielleicht auch der meiner Mutter.
Heutzutage wird zwar viel von künstlicher Intelligenz gesprochen
- was immer man darunter verstehen mag; das Erwachen eines lebendigen
Bewusstseins hat nichts damit zu tun. Denn das beginnt mit dem Spüren
von Haut und Wärme, von Atem und Stimme, dem Empfinden von Licht
und Dunkel und der Sensation von Gerüchen; mit der Wahrnehmung, der
sinnlichen Wahrnehmung des menschlichen Körpers. Die Verwendung des
Attributes menschlich lässt vermuten, dass es auch noch andere Körper
gibt als menschliche. Ich meine aber damit nicht tierische Körper,
sondern Abstrakta wie Lehrkörper und Klangkörper. Über Lehrkörper
will ich mich nicht näher auslassen: Klangkörper gibt es: sie haben
die Individualität eines Körpers, sie haben die Sinnlichkeit eines
Körpers, sie haben die faszinierende Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten
eines Körpers, und man kann ihrem Ton und ihrer Musik hingegeben
sein wie einer Umarmung. Und deshalb habe ich zum Klangkörper des
strengen Kammerorchesters eine erotische Beziehung, wie ich sie zum
Beispiel zwischen mir und einer künstlichen Intelligenz für unvorstellbar
halte. Obwohl - möglich ist alles - sagt man ...
Roland Neuwirth
Seeräuber sind das. Kommen von überall her, bringen ein Fernweh
mit, daß du dir sofort die Pulsadern aufschneiden willst. Es ist
ein Fernweh nach uns selbst, unserem Innersten. Und sie räubern nach
Juwelen, wollen mindestens dein Herz. Sie fliegen mit ihrem Schiff
über alle sieben Weltmeere und umrunden tausend Atolle, legen nie
am Festland an. Zaubern die Klänge, die der Wind ihnen zuträgt. Da
sitzt du nun vor deinem leeren Achtel, hast eine Weltreise gemacht
und dich doch nicht von der Stelle gerührt. Ja, deine Heimat bist
nur du, ganz weit da drinnen, du Landratte.
Julian Schutting
„Erstes strenges Kammerorchester” — das Attribut „streng" könnte
einen erschrecken, hielte man es nicht sogleich für eine lausbübische
und auch selbstironische Täuschung. Ob man nun dem „streng" leichtgläubig
glaubt oder nicht: man horcht auf jeden Fall auf, wenn man dann zum
ersten Mal die Musik der vier Musiker zu hören bekommt — ohne jede
angestrengte Perfektionierungswut musizieren sie miteinander, horchen
aufeinander hin, als spielten sie ein (klassisches) Streichquartett
oder eine freie Jazz-Improvisation, und erst recht nicht sind sie
mit uns Zuhörern streng, lassen etwas anklingen von der romantischen
Vorstellung über die Freiheit der Zigeuner (und deren Fähigkeit,
mit Musik sich aus einem traurigen Seelenzustand hinwegzuheben),
Fernweh lassen sie uns übers Herz streichen, nehmen uns auf Schiffsreisen
mit in exotische Lebensgefühle, ich weiß nicht: sowohl nach Ungarn
als auch nach Spanien und vor allem ja doch in ihre melancholische
Zusammenklangswelt, temperamentvoll in Musik verwandelt. Originell
wie sie selber die Zusammensetzung der Instrumente: Geige, Säge,
Akkordeon und Kontrabass. Liebes unstrenges Kammerorchester, viel
Erfolg, wo immer! (Tät gern wieder einmal mit Euch einen Abend bestreiten;
wird sich finden.)