Ein Patchwork unerhörter Klänge
Zum dritten Male schon sei er hier, sagt Akkordeonist Otto Lechner, womit zum außerordentlichen Flair des Riedlinger Theaters im Hof eigentlich schon ziemlich viel gesagt ist. Stets spielt er vor ausverkauften Plätzen, womit zu Otto Lechners Popularität ebenfalls viel gesagt ist. Doch der zauberhaften Atmosphäre im verträumten Hof des alten Bauernhauses rund um die ehrwürdige Kastanie wäre damit noch zu wenig Ehre erwiesen, leben die Veranstaltungen in dem Kanderner Ortsteil doch auch vom Zauber dieses außergewöhnlichen Veranstaltungsortes, der vielleicht der schönste der Region ist.

Jenseits des Gewohnten an diesem Abend: Otto Lechner tritt mit seiner Kunst des erweiterten Akkordeonspiels hinter Hans Tschiritsch zurück. Gemeinsam mit Franz Haselsteiner sind sie die Formation Ohrwerk. Ohrwerk ist Stückwerk und macht eine Musik, die sich in vielen Traditionen bedient, vieles zitiert und neu mischt. Alle drei musikalischen Patchworker kommen aus Österreich. Berührungsängste mit der alpinen Musiktradition gibt es keine, sie wird fröhlich und virtuos zitiert, um dann auch mit anderen Musikstilen ergänzt zu werden. So wird der Ländler mit Rock kombiniert, das Stanzerl mit dem Blues, und alles mit lateinamerikanischen Rhythmen unterlegt,

Herausragend ist Hans Tschiritsch, Multiinstrumentalist und Obertonsänger. Wer mit so viel Leichtigkeit die Grenzen überspringt, wer sich nicht beschränken möchte auf das, was ist und längst schon war, der braucht neue Ausdrucksformen, dem ist das Gegebene zu wenig. Und so ist Hans Tschiritsch eben nicht nur Kompositeur und Arrangeur sondern auch Erfinder diverser Musikinstrumente. Und er nimmt die Zuhörer mit auf eine Reise zu unerhörten Klängen, wo eine Nähmaschine zur Drehleier wird und ein Ölfass zum Bass. Hans Tschiritsch ist ein Klangfetischist, einer dem das Vorhandene nie genug ist. Da verstärkt er die Saiten einer Geige mit einem metallenen Trichter, und heraus kommt ein Klang nostalgisch im Schellack-Ambiente, dabei sind Hans Tschiritschs Klänge alle handgemacht, ohne jede technische Verstärkung.

Da bedienen sich Otto Lechner und Franz Haselsteiner, Bass-Akkordeon, im Genre der Alpinen Volksmusik und Hans Tschiritsch legt mit der singenden Säge und dem Bogen eine weiter Tonspur drüber. Er verfremdet die Klänge und das Vertraute besticht eben dadurch, dass es gleichzeitig fremd und vertraut ist. Was Hans Tschiritsch mit viel Spielfreude und einem Schuss Ironie gelingt, ist nichts weniger als die Musikalität der Dinge freizulegen. Das Tschiteri-doo zum Beispiel, dieses Cello mit seinem Hals, der nicht nur Saiten hält, sondern auch ein Blasinstrument, dessen monotone Klangfarbe aufregende musikalische Entdeckungen ermöglicht. Nichtendenwollender Applaus nach einer guten Stunde Spielzeit, Mozart dann als Zugabe. Und dann drei Musiker, die für ihr Publikum auf eine Reise gingen. Ihr Repertoire ist erschöpft, die Zuhörer sind es noch lange nicht, es folgt eine Improvisation, ein Gespräch dreier Musiker, ein intensives Fragen und Antworten. Dieses letzte Stück ist eine Hingabe an die Musik und das Musizieren – vielleicht das persönlichste Stück des Abends: Aus dem Augenblick entstanden, für diesen gemacht. Dabei waren sie alle intensiv und komplex, virtuos und beieindruckend.

Martina David-Wenk, Badische Zeitung 16. August 2010